LuegerTemporär
Die temporäre Intervention Lueger Temporär besteht aus maßstabsgetreuen, fragmenthaften Umrissen von allen uns aktuell bekannten Ehren- oder Denkmälern für den ehemaligen Bürgermeister der Stadt, Karl Lueger (1897–1910). Wir wollen damit einen Beitrag zur kritischen Neubewertung des antisemitischen Politikers leisten.
Wir haben heute Kenntnis von insgesamt 16 solcher Denkmäler. Im öffentlichen Raum Wiens – auf Fassaden, in Parks, auf Brücken und am Friedhof – sind sie über die Bezirke verteilt. Nur vier von ihnen haben eine Kontextualisierung erfahren. In der Regel blieben sie unkommentiert. In der wichtigen gegenwärtig geführten Debatte um Luegers Selbststilisierung im öffentlichen Raum wird dieses die Stadt umspannende Netzwerk jedoch wenig besprochen.
Mit der Intervention Lueger Temporär am Dr.-Karl-Lueger-Platz – jenem Ort, an dem sich die Debatte gegenwärtig konzentriert und verhandelt wird – soll im Vorfeld der Ausschreibung einer permanenten künstlerischen Installation für diesen Ort ein sichtbarer Verweis auf – und damit die Möglichkeit zur umfassenden Diskussion über – die bis heute geradezu aggressive Präsenz dieser fragwürdigen Ehrungen Luegers ins Bewusstsein gerufen werden.
Für Lueger Temporär werden die Konturen der Ehrenmäler aus dünnem Lattenholz gefertigt und in unterschiedlichen Farben bemalt. Die Materialwahl unterstreicht den provisorischen, nicht huldigenden Charakter der Installation. Ihre filigrane Erscheinung ist eine Antithese zur feierlichen Monumentalität der aktuell am Platz sichtbaren Figur.
Die Installation bildet Konturen von folgenden Ehren- und Denkmälern ab:
1896 | Lueger-Hof, Selzergasse 20-22, 15. Bezirk – unkommentiert |
1903 | Porträtrelief, Schule Haizingergasse 37, 18. Bezirk |
1904 | Brunnen am Siebenbrunnenplatz, 5. Bezirk – unkommentiert |
1906 | Denkmal in Lainz, Lainzer Pflegeheim, vor Pavillon XIV, Versorgungsheimplatz 1, 13. Bezirk – unkommentiert |
1904–09 | Karl-Borromäus-Brunnen, Karl Borromäusplatz 1, 3. Bezirk – unkommentiert |
1906 | Leuchtobelisk am Mariahilfer Gürtel, 6. Bezirk – unkommentiert |
1910 | Friedhofskirche zum heiligen Karl Borromäus, Zentralfriedhof, 11. Bezirk – unkommentiert |
1910 | Toranlage, Zentralfriedhof, 11. Bezirk – unkommentiert |
1910 | Große Reliefplastik, Schule Graf Starhemberggasse 8-10, 4. Bezirk – unkommentiert |
1911 | Porträtrelief, Wohnhaus Penzingerstraße 72, 14. Bezirk – unkommentiert |
1913 | Roland Brunnen, Lainz, 13. Bezirk – unkommentiert |
1915 | Büste, Cobenzl, 19. Bezirk – unkommentiert |
1926 | Benennung des Platzes an der Ringstraße als Dr.-Karl-Lueger-Platz, 1. Bezirk – unkommentiert, und Bronzestatue auf Steinsockel, Dr.-Karl-Lueger-Platz, 1. Bezirk |
1936 | Gedenktafel Hamburgerstraße 9, 5. Bezirk – unkommentiert |
1944 | Gedenktafel TU, Karlsplatz 13, 4. Bezirk |
1955 | Brücke, Albert-Schweitzer-Gasse / Badgasse, 14. Bezirk |
Recherchestand 24.6.2022, support by Jiri Tomicek, Martina Genetti
Gegen die Errichtung
hilft nur die Vernichtung
Denkmäler sind Setzungen des vorgeblich Immerwährenden. Errichtet in der Überzeugung widerspruchsfreier Gültigkeit folgen sie einem Auftrag, dessen Bestimmung es ist, die Elastizität der Geschichte für nichtig zu erklären. Als Inbegriff des Wertbeständigen sind die meisten von ihnen in Stein gemeißelt, viele sogar in Erze gegossen, erstarrt zu dem Zwecke, den Kontingenzen von Leben, Geschichte und Politik eine ungefährdete Beständigkeit entgegenzuhalten. Ganz zu schweigen von der Witterung. Für diese noble Geste, die den Schutzmantel des überzeitlich Würdigen genießt, sind die besten Plätze gerade gut genug. Denkmäler zeigen sich an prominenten Plätzen. An breiten Boulevards, belebten Kreuzungen und an panoramatischen Landstrichen und Höhen, jedenfalls an Stätten, von denen sichergestellt ist, dass sie als Fluchtpunkt der Aufmerksamkeit Bestand haben. Von diesen privilegierten Orten ausstrahlend markieren Denkmäler unendliche Zeitstrecken. Sie feiern einen Gründungsakt, eine einmalige historische Leistung, deren Wirksamkeitsdauer weder Einspruch ermöglicht noch Ablaufdatum rahmt.
Denkmäler setzen nicht nur auf die Zementierung ihrer Bedeutung, sondern auch auf die Kraft ihrer Wirkung, vermittelt über Bild und Darstellung. Wer Denkmäler errichtet, auch abstrakte, ist Überzeugungstäter einer fortdauernden Ikonophilie. Denn das Bild, das Standbild zumal, repräsentiert vollumfänglich eine wirkende Macht, die auch dann nicht schwächelt, wenn das Gründungsdatum lange zurückliegt. Denkmäler verstehen sich als bildgewordene Mnemotechniken, die imstande sind, fortwährend an außergewöhnliche Leistungen der Vergangenheit zu erinnern – auch dann noch, wenn diese nur Ahnen erlebt haben.
Was aber, wenn die Zeit an der Glaubwürdigkeit ihrer Legitimierung nagt? Wenn die Deutungshoheit, die sich in ihnen versinnbildlicht, porös oder prekär wird? Kommt es zu einer neuen Geschichtsdeutung, stellt sich die Frage der ästhetischen Korrektur. Wie aber ein Standbild verändern? Was tun? Ist die Neudeutung nicht durch Langeweile motiviert, ist der Drang zur Revision meist Ergebnis eines scharfzüngigen Imperativs, der die Berechtigung von Sichtbarkeit und Unversehrtheit beanstandet. Der Prozess der Reevaluierung kann geordnete Verhandlungen zur Folge haben, Diskussionen um ein korrigiertes Geschichtsverständnis auslösen, aber auch rabiate Reaktionen, manchmal gleichbedeutend mit gewaltbereiter Zensur. Im Maß, wie Denkmäler bildstarke Überzeugungen darstellen, provozieren sie ikonoklastische Energien. Mitunter haften Kunstwerke sogar für politische Schuldscheine, werden zu Opfern von historischer Aufrechnung und Stellvertreterkriegen. Es geschehen Demontagen, aktivistische Schmähungen, Vandalenakte bis hin zu öffentlichen Verunglimpfungen, die Hinrichtungen gleichkommen. Jeder Akt der Bilderstürmerei belegt allerdings nichts weniger als die ungebrochene Macht des Bildes. Denn verfehlte das Bild seine Wirkung, fiele es nachgeborenen Oppositionen leichter, das Fortbestehen des historischen Erbes zu ignorieren.
»Lueger temporär« ist kein Denkmal. Gegen den Ewigkeitsanspruch setzten Nicole Six und Paul Petritsch eine zeitliche Befristung. Ihr Display aus Holzlatten wäre schon allein seiner Bauweise wegen nicht konservierungsfähig. Zudem wirkt die bunt bemalte Silhouette, die sie neben das bestehende Denkmal setzen, unbeständig und fragil, vielleicht sogar heiter. Das Gerüst reizt zur unvorhersehbaren Intervention. Es ist keine Dauerlösung, sondern eine vorläufige Bestandsaufnahme. Gut vorstellbar, dass Passant*innen hier taggen oder plakatieren, es beschreiben und für eigene Botschaften nutzen. Six/Petritsch wählen die instabile Lineatur, nicht nur, um gegen die harten Substanzen der Bronze- und Steinwelt der Denkmäler anzuarbeiten, sondern um eine Mehrstimmigkeit zu provozieren, ja Prozesshaftes zu ermöglichen.
“Chronologie, Archiv, Lager”, jene Begriffe, die das Künstler*innenduo hierfür ins Spiel bringt, deuten dies an. Die Aufarbeitung umfasst nicht nur eine historische Rekonstruktion, sondern auch die Lokalisierung mehrerer Elemente, und zwar nicht nur des Denkmals am Stubenring, sondern aller historischen Gedenkstätten, die an den umstrittenen Bürgermeister erinnern. Darunter finden sich Kirchen, Brücken, Gedenktafeln, Brunnen und Büsten. Six/Petritsch erheben und vermessen. Tatsächlich taucht der Name Lueger in vielen städtischen Kontexten auf, seine Präsenz nistet im urbanen Gewebe, mal mehr oder weniger deutlich, auf jeden Fall subtiler und subkutaner als in der öffentlichen Stellung am Eingang zum Ersten Bezirk. Das prominente Denkmal, das den Bürgermeister stolz mit Bart und Rock zeigt, mit den Händen an Herz und Revers, erweist sich demnach zwar als Hotspot der Debatten, aber nicht als Kern des Problems.
Die Künstler*innen zeigen die Umrisse der Filiationen in im Maßstab 1:1. Sie sind nicht nur Schattenbilder realer Bauten, sondern wirken aneinandergereiht wie die Konjunkturkurve möglicher Diskurse. Die Frage, ob Verbannung oder Rekontextualisierung, die die gegenwärtigen Debatten befeuert, erscheint wertneutral angesprochen in Gestalt eines statistischen Displays mit dem Potential zur Aktivität. Wie so oft im Werk von Nicole Six und Paul Petritsch geht es um Bestandsaufnahme und Datensammlung, hier mit der erkenntlichen Absicht, die Diskussionen um einen sachlichen Aspekt zu erweitern und die Diskussion auf die Stadt und die Gesellschaft zu übertragen. Dass kein ikonoklastischer Sturz beabsichtigt ist, zeigt sich schon an der Verdoppelung des Denkmals, welches die Figur im Umriss in der räumlich gebauten Grafik nochmals erscheinen lässt. Im Gegenteil, hier wird deutlich, dass Geschichte nur als fortdauerndes Verhandeln zu rechtfertigen ist. Quellensichtung und Anhörung von Gegenstimmen sind ebenso ernst zu nehmen wie moralische Vorsätze. Indes sind Dogmen und Normen inakzeptabel. Neue Doktrinen wären nichts anderes als die Nachahmung der ideologischen Rhetorik des Urbilds unter umgekehrten Vorzeichen – nach dem Motto: gegen die Errichtung hilft nur die Vernichtung.
Aber zurück zum Ausgangsort und der ästhetischen Faktenlage. Ursprünglich wird Karl Lueger in dem historistischen Standbild, das 1926 enthüllt wird, in Bronze dargeboten, stattlich und patriarchal. Rund um den Sockel finden sich Allegorien der ihm zugeschriebenen historischen Errungenschaften in Stein, sie sind statuarischer, subalterner, säulenhafter: ein Arbeiter mit Gasleitung, ein Landarbeiter für den Wald- und Wiesengürtel, eine trauernde Mutter für die Waisenfürsorge etc. Die Figuren treten nicht nur als Stützen, sondern als metaphorische Belastungszeugen auf. Es scheint, als würden sie drohende Einwände aus der Zukunft bereits im Gründungsakt entkräften wollen. Sie sind Supplemente, die sich wie Gegenargumente in Stellung bringen, die politische Widerstände – wie etwa die heutige kritische Wahrnehmung – schon vorauseilend entkräften. Scheinbar unbeeindruckt bezeugen diese steinernen Gewährsleute die Apotheose des Stadtoberhaupts. Dessen Populismus wird in dieser bewundernden Ikonografie ebenso verschwiegen wie der glühende Antisemitismus, der für noch düstere Gestalten der Geschichte, die nach ihm kamen, zum Vorbild wurde.
Doch welche Kreise zieht Lueger abseits des vermeintlichen Kulminationspunkts am Stubenring? Mit ihrem Werk geben Six/Petritsch eine Anregung zur Versachlichung. Dafür geben sie ihrem Beitrag, der sich über den Freiraum des Platzes wie eine Himmelszeichnung erstreckt, die Anmutung von Vorläufigkeit und Versuchsanordnung. Es geht darum, diskursive Möglichkeitsräume anzuregen, nicht abschließende Resultate zu liefern. Durch die Dezentralisierung werden die Facetten der Darstellungen breiter, ihre Substanz durch die Konturen buchstäblich durchsichtig und festgefahrene Positionierungen brüchig. Keine Frage, die Sprödigkeit, die Bricolage des Gerüsts und die Verzahnung der Erinnerungsstücke im Innern des Lattenreviers relativieren den Nachdruck des bronzenen Denkmals. Zugleich zeigen sie, wie Erinnerungspathos und Sendungsbewusstsein als gedankliche Kreislaufwirtschaft funktionieren. Das begehbare Rundumerlebnis von Six/Petritsch hingegen probt die Alternative. Es ermöglicht eine andere, eine zeitgemäßere Wahrnehmung. Zudem setzt es einen Impuls zur Fortsetzung der nötigen Diskussion, indem es sich als Vorstudie zur Etablierung eines historisch bedeutsamen Lernens erweist.
Thomas Trummer, Bregenz 14. September 2022
LINKS
Geschichte Karl Lueger
Geschichte Dr.-Karl-Lueger-Platz
Handbuch zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals (OPEN CALL 2009/2010)
Artikel 12. Mai 2010, der standard, „Denkmal-Wettbewerb: Darf Lueger um 3,5 Grad nach rechts kippen?“
10.Juni 2020, Presse Wien, „mit rosa Farbe beschmiert“
Artikel 12. Juli 2020, der standard, Kommentar der anderen / Eduard Freudmann, „Mehr Mut zum Denkmalsturz!“
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Artikel 3. Oktober 2020, der standard
Artikel 5. Oktober 2020, der standard
mumok 2021, Kolloquium für Veränderung am Lueger-Platz
Kolloquium für Veränderung am Lueger-Platz, Programm
Artikel 8. November 2021, der standard, „Wiener Lueger-Denkmal wird umgestaltet, der Platz behält seinen Namen“
KÖR Kunst im öffentlichen Raum Wien
Bericht: Die Zukunft des Dr.-Karl-Lueger-Platzes, Empfehlungen der Expert_innen-Kommission von #aufstehn
Artikel 5. Mai 2021, der standard, Experten zu umstrittenem Lueger-Denkmal: "Die Statue am Sockel muss weg"
23. Juni 2021, Simon Nagy, „DIE UNSICHTBARKEIT EINES DENKMALS, DIE SICHTBARKEIT SEINER SCHANDE“, Texte zur Kunst
#luegerdenkmal
Platz da! 16.5-27.06 2022
LICRA
Artikel 24.06.2022, ORF, Offener Brief von Holocaust-Überlebenden
Artikel 27.06.2022 Wiener Zeitung
Jüdische Hochschülerschaft
Wien Museum Schwerpunkt Lueger-Denkmal
Heidemarie Uhl über das Lueger-Denkmal „Wenn es weg ist, ist auch die Geschichte weg“
Victoria Borochov und Sashi Turkof über das Lueger-Denkmal, „Das Problem an Lueger ist seine Präsenz“
Oliver Rathkolb über das Lueger-Denkmal „Lueger bleibt uns – ob wir wollen oder nicht“
Dirk Rupnow über das Lueger-Denkmal „Es ist unhistorisch, das Denkmal für unantastbar zu erklären!“
Wien Museum, „Christlichsozialer Personenkult im Roten Wien“
Wien Museum, Wortgewalt und Bildermacht
#luegertemporär
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LuegerTemporär
12. Oktober 2022 - Sommer 2023
Dr.-Karl-Lueger Platz
1010 Wien | Vienna
Nicole Six und Paul Petritsch
Schottenfeldgasse 76/25
1070 Wien | Vienna
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Web: Dominique Lederer / Fonts: binnenland.ch
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